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Freitag, 14. Oktober 2016

Türkei - Völlige Integration hat auch Nachteile!

In Oeren fragt uns gegen Abend ein älterer Türke aus welcher Aargauer Region wir kommen. Er wirkt etwas verlegen, fast scheu, aber er spricht waschechten Solothurner Dialekt. Nach kurzer Zeit taut er auf.

Erdin ist 1972 als 18-Jähriger aus der Türkei (Istanbul) in die Schweiz ausgewandert. Bei der Papierfabrik Biberist findet er zunächst für über 2 Jahre eine Anstellung als Betriebsmechaniker und kann dann zur Sulzer AG, Zuchwil als Maschinenmechaniker wechseln. Er wohnt in Subingen und schliesst sich kurz darauf dem örtlichen Fussball-Club an. Nach einigen Jahren heiratet er seine türkische Freundin. Er holt sie in die Schweiz und sie bekommen einen Sohn. Nach seiner aktiven Fussballer-Zeit wählt ihn der Verein in den Vorstand.

Die Zeit zieht sich dahin.

Er bleibt der Sulzer Maschinenfabrik über 38 Jahre treu, bis die Sulzer Tore in Zuchwil geschlossen werden. Erdin ist in diesen Jahrzehnten mit Haut und Haaren Schweizer geworden. Der Gemeindepräsident von Subingen wollte die Familie bereits nach 10 Jahren einbürgern. Doch die Geldsumme für die Einbürgerung von 3 Personen konnte Erdin damals nicht aufbringen. Nur der Sohn wird eingebürgert.

Nach der Schliessung des Sulzer Werkes entscheidet sich Erdin und seine Frau schweren Herzens nach Istanbul zurückzukehren. Der Sohn bleibt. Beide werden aber in Istanbul nicht warm. Sie ziehen anfangs 2015 nach Oeren. Dieser Ferienort liegt in der Nordägäis direkt am Meer. Oeren ist ein netter Ort. Die Leute sind freundlich. Das Wetter ist meistens gut und der weite Sandstrand liegt nahe und er ist sehr sauber. Dem Paar geht es finanziell ausgezeichnet. Die AHV und die Rente der Pensionskasse treffen seit 2 Jahren regelmässig und pünktlich ein. Wie sich das auch für die Schweiz so gehört.

Doch Erdin und seine Frau waren viel zu lange in der Schweiz. Wenn Erdin von der Schweiz erzählt, leuchten seine Augen und seine Stimme wird heiser. Er steht heute noch mit seinen ehemaligen Arbeitskollegen und Freunden in Subingen in Kontakt. Aber hier in Oeren hat Erdin keinen einzigen Freund. Er und seine Frau haben sich nicht mehr in den türkischen Kulturkreis integrieren können. Ihre Denkweise und ihre schweizerischen Wertvorstellungen stimmen nicht mehr mit der türkischen Lebensweise überein. Zudem klafft bei Erdin eine erhebliche und unüberwindbare Lücke in Sachen Ordnung, Pünktlichkeit, Planung, Organisation und Zuverlässigkeit zu seinen türkischen Landsleuten.

Ja – Erdin ist in diesen über 40 Jahren Aufenthalt in der Schweiz ein „biederer“ Eidgenosse geworden. Er hat sich bei uns mehr als nur integriert. Doch die Rück-Integration in sein ureigenes Heimatland Türkei gelingt ihm irgendwie nicht mehr.

Wenn er die Familie seines Sohnes in der Schweiz besuchen möchte, muss er sich um ein Visum bemühen. Dies ist mit grossem und erheblichem Papierkram verbunden. Nach diesen über 40 Jahren Arbeit in und für die Schweiz schmerzt ihn diese behördliche Auflage sehr. Die Schweiz ist unbewusst sein Heimatland geworden. Die Schweiz gehört zu ihm oder er zu ihr.

Erdin lässt uns diesen Abend kaum mehr los. Beim Abschiednehmen hat Erdin feuchte Augen. Erdin hat uns berührt.


1 Kommentar:

  1. Hallo Maria und Robert
    Eifrig lesen wir wieder euren blog.
    Wir wünsche eine gute Reise mit vielen tollen Erfahrungen und bleibenden Eindrücken.
    Liebe Grüsse aus dem Rheintal
    Graziella und August

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